Mittelalterlicher Hochbrandgips

Mineralthermometrie an Anhydrit und Akzessorien in Brenngutkörnern

Früh- bis spätmittelalterliche Stuckausstattungen verkörpern ein regionales, da an abbauwürdige Gipsvorkommen korreliertes kunsttechnologisches Spezifikum. Aufgrund der beschränkten Kontrollmöglichkeiten über die Brandparameter prägt derartige Hochbrandgipse ein Phasengemisch aus verschiedenen Anhydritstufen. In der gealterten Gipsmatrix nicht oder nur teilweise hydratisiert erhaltene Brenngutkörner dienen anhand der Morphologie der Anhydritkristalle der groben Einschätzung der zumindest lokal im Ofen bzw. im stückigen Brenngut erreichten Temperaturwerte. Einzig die Ramanmikrospektroskopie ermöglicht die kornspezifische Bestimmung der Hitzeeinwirkung über den Grad der sich im Ramanspektrum abbildenden thermischen Beeinträchtigung der Thermoanhydritphasen sowie gleichzeitig auch deren Unterscheidung von primärem Anhydrit aus der Gipslagerstätte. 

Hitzebedingt mehr oder weniger stark geschädigte natürliche Verunreinigungen des Rohgipses bzw. deren pyrometamorphe Phasenneubildungen liefern aufgrund ihres Bildungs- und Stabilitätsbereiches zusätzliche Hinweise. Beispielsweise bedingt die Dehydratation von Chlorit die Genese von Olivin oder werden Carbonatminerale bei ausreichend hohen Temperaturwerten entsäuert und bilden – beim Anmachen des Gipsbreies gelöscht und infolge Reaktion mit dem Kohlendioxid der Luft carbonatisiert – in der Gipsmatrix kalkspatzenähnliche Calcitaggregate. Die Forschungsarbeiten bestehen in der Definition und Charakterisierung von mikrospektroskopisch erfassbaren mineralischen Thermometern in mittelalterlichen Hochbrandgipsen, um die fehlende schriftliche Überlieferung zur Brenntechnologie durch Temperaturindikatoren im Material selbst zu kompensieren. Die Auswertung von historischen Stuckproben begleiten in situ-Ramanmessungen auf dem Heiztisch und Brennversuche im Muffelofen.